Doktorgradentzug

Die Forschung geht heute von etwa 1.700 nachgewiesenen Fällen von Entziehungen akademischer Grade an deutschen Hochschulen zwischen 1933 und 1945 aus. Die Dunkelziffer dürfte aber erheblich höher sein und wird auf das Doppelte geschätzt.

Der Ausschluss aus der Gemeinschaft akademischer Würdenträger als Sanktion gesellschaftlichen Fehlverhaltens ist jedoch keine Erfindung der Nationalsozialisten. Wegbereitend wirkten hier die auf einzelne Universitäten und Fakultäten beschränkten Regelungen der Weimarer Zeit, die erstmals eine kaum definierte „Unwürdigkeit“ der Betroffenen zum möglichen Kriterium für ein Aberkennungsverfahren machten. Rechtsgrundlagen für die Entziehung akademischer Grade während der NS-Zeit bildeten die seit Oktober 1933 veränderten Promotionsordnungen an preußischen Universitäten. Sie sahen die Entziehung der Doktorwürde bei Widerruf der Einbürgerung oder bei Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 2 des entsprechenden Gesetzes vom 14. Juni 1933 vor. Dem folgten Erlasse des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in den Jahren 1937 und 1938, die auf die Entziehung von akademischen Ehrengraden „politischer Größen der Systemzeit“ zielten. 1939 schließlich schuf die Reichsregierung mit dem Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni  und seinen Durchführungsverordnungen 1939 und 1943 eine einheitliche Rechtsgrundlage für alle Hochschulen des Reiches.

Die Entziehung akademischer Grade war demnach möglich, wenn der Betroffene sich zum Zeitpunkt der Promotion oder durch späteres Verhalten als unwürdig erwiesen hatte. Dies war, wie die spätere Praxis zeigen sollte, nicht nur der Fall, wenn die Aberkennung des Grades gemäß § 33 StGB als Nebenstrafe bei Verurteilungen wegen bestimmter Verbrechen und Delikte verhängt wurde, oder wenn mit der Verurteilung eine Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verbunden war. Entziehungsverfahren der Hochschulen wurden fast grundsätzlich in der Folge gerichtlich verhandelter Strafbestände eingeleitet. Dazu gehörten Hochverrat, Rundfunkvergehen, Rassenschande, Verstößen gegen das Heimtückegesetz, Wehrkraftzersetzung, sogenannter staatsfeindlicher Umtriebe und Wehrdienstverweigerung bzw. Fahnenflucht, aber auch Sittlichkeitsvergehen gemäß § 175, Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen und Devisenvergehen. Die deutschen Hochschulen, auch Greifswald, haben solche Verfahren zwischen 1933 und 1945 in den meisten Fällen ohne erkennbaren Widerstand oder Bedenken durchgeführt.

Reichsweit führten die medizinischen Fakultäten das Feld der Aberkennung von Doktortiteln an, gefolgt von den Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultäten und, mit deutlichem Abstand, den Philosophischen Fakultäten. Aus den Theologischen Fakultäten ist bislang nichts bekannt geworden. In etwa 70 Prozent der Fälle beruhte die Aberkennung des akademischen Grades auf dem Verlust der Staatsangehörigkeit und traf damit wahrscheinlich überwiegend jüdische Emigranten.

Für die Universität Greifswald konnten insgesamt 90 Entziehungsverfahren festgestellt werden. Von diesen 90 Aberkennungen erfolgten 53 aufgrund des Verlustes der Staatsbürgerschaft, 10 aufgrund von Verurteilungen gem. § 175 StGB, drei wegen politischer Vergehen, eine wegen Verstoßes gegen die Rassengesetze und 19 aufgrund verschiedener anderer Straftatbestände. In vier Fällen war der Anlass nicht mehr ersichtlich. Unter den hier genannten sind die Aberkennungen von Ehrengraden nicht mitgezählt. Die Untersuchung der Fälle erfolgte durch eine interfakultäre Kommission. Ihr Bericht führte dazu, dass der Senat der Universität Greifswald im Jahre 2000 71 ehemalige Greifswalder Akademiker namentlich rehabilitieren konnte.