Organisation der Studentenschaft, NS-Studentenbund, Kameradschaften
Die moderne Organisation der Studentenschaft ist ein Kind der Novemberrevolution von 1918. Damals wurden die ersten Allgemeinen Studentenausschüsse gebildet und 1919 schließlich die „Deutsche Studentenschaft“, das erste deutsche Studentenparlament. 1920 führte Preußen ein neues Studentenrecht ein, das die Selbstverwaltung in allgemeinen Angelegenheiten und die Vertretung nach innen und außen vorsah. Im Zuge der Diskussion, ob die Aufnahme in die Studentenschaft nach dem Staatsbürgerschafts- oder nach dem völkischen Prinzip erfolgen sollte, erlitt das Preußische Kultusministerium, das hier die Vorstellung allseits gleichberechtigter Teile einer Kulturnation durchsetzen wollte, 1927 eine schwere Niederlage. Die Studentenschaft hatte bereits zu diesem Zeitpunkt einen völkischen Radikalismus entwickelt, der einen Numerus clausus für „fremdstämmige Studenten“ forderte. 1931 schließlich wurde der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) auf Reichsebene zur stärksten politischen Kraft innerhalb der Studentenschaft. Der latente Antisemitismus, der sich gegen Mitstudenten oder Lehrkräfte richten konnte, brach sich seitdem beinahe ungehindert Bahn an den Universitäten. Greifswald war die zweite deutsche Universität, an der der NSDStB bei den AStA-Wahlen bereits im Wintersemester 1930/31 die absolute Mehrheit erringen konnte. Zu einer Zäsur wurde der sogenannte Blutsonntag, der 17. Juli 1932. Die Nationalsozialisten inszenierten einen Aufmarsch, der in Auseinandersetzungen mit Kommunisten mündete. Unter den drei Getöteten befand sich auch ein nationalsozialistischer Student. Ihm wurde von der SA auf dem Greifswalder Friedhof eine beeindruckende Gedenkfeier ausgerichtet. Der Vorfall und sein Nachspiel ließen sich als Machtdemonstration der NSDAP interpretieren. Danach gingen Rektor und Senat auf die Studenten zu und unterstützten sie zum Beispiel bei Wehr- und Flugsport. Der studentische Wehrsport fand nicht nur in den zahlreichen Universitätseinrichtungen statt (etwa der Reit- und der neuen Boxhalle), sondern auch in einem Wehrsportlager in der Lubminer Heide, wo 60-100 Studenten untergebracht werden konnten und das dem Studentensturmbann unterstand.
Zu den Elementen, die den Studienalltag und -ablauf erheblich veränderten, gehörte auch die allgemeine studentische Arbeitsdienstpflicht seit dem 16. Juni 1933, die auch rückwirkend auf Studenten im höheren Semester ausgedehnt wurde. Die Teilnahme am Arbeitsdienst wurde in der Folge eine weitere entscheidende Voraussetzung für die Studienzulassung. Die Maßnahme war dazu gedacht, die „Überfüllung“ der Universitäten zu korrigieren, später erwies sich Ad-hoc-Verpflichtung von Studierenden als nstrument zur Schließung von Lücken beim allgemeinen Arbeitskräftemangel. Die Stahlhelm-Hochschulgruppe, die als zweite politische Vereinigung der Studentenschaft noch kurze Zeit aktiv war, ging im Sommer 1933 im NSDStB auf. Zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“ bestanden in Greifswald 21 Korporationen und acht akademische Vereine, auf die der NSDStB einen erheblichen Druck ausübte. Hatten die Verbindungen, insbesondere aufgrund der 1933 wieder gestatteten Durchführung von Schlägermensuren, die politische Entwicklung noch unbeeindruckt beobachtet oder unterstützt, so änderte sich das im Laufe der nächsten Jahre. Nicht alle Verbindungen überließen dem NSDStB kampflos das Feld und sie verfügten durch die Alten Herren nach wie vor über funktionierende Netzwerke, die einen gewissen Schutz boten.
Der NSDStB hatte seit 1933 versucht, den traditionellen Verbindungen eigene „Kameradschaften“ entgegenzustellen, die in Kameradschaftshäusern untergebracht waren. Das erste dieser Häuser wurde im November 1933 in Greifswald eröffnet. Im Wintersemester 1933/34 stellten die Studentenverbindungen ihre Häuser ebenfalls für diesen Zweck zur Verfügung, so dass im Juni 1934 18 Kameradschaftshäuser für ca. 200 Studenten existierten. Darin sollten die neu immatrikulierten Studenten nach einer Anweisung des Reichsstudentenführers vom 20. September 1934 im ersten und zweiten Semester wohnen und Uniform tragen. Nach Widerständen der Korporationen milderte ein Erlass des Kultusministers, der die Freiwilligkeit betonte, diese Anweisung ab. In den Häusern sollte die Kameradschaftserziehung der HJ mit anderen Mitteln fortgeführt werden. Allerdings waren die Greifswalder Versuche in dieser Richtung wenig nachhaltig. Nach anfänglichen Erfolgen halbierte sich die Anzahl der im Kameradschaftshaus des NSDStB wohnenden Studenten 1934/35 auf etwa 24 und sank bis 1935 so weit ab, dass man das Haus schließen wollte.
Das Verhalten der Verbindungen blieb nicht ungestraft. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft im NSDStB oder der NSDAP und in studentischen Verbindungen wurde verboten. Das genügte bereits, um ihr Ende zu besiegeln. Die alte Burschenschaft, die sich zuvor von der Deutschen Burschenschaft abgespalten hatte, löste sich am 17. Oktober 1935 auf. Ihre aktiven Teile wurden in Kameradschaften des NSDStB überführt. Als letzte Greifswalder Burschenschaften lösten sich die Germania (am 27. Juni 1936) und die Rugia (am 5. Juli 1936) auf. Die Altherrenverbände sollten der NS-Studentenkampfhilfe angegliedert werden. Als letzte studentische Vereinigungen, die in Greifswald noch neben dem NSDStB existierten, wurden im Oktober 1937 die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) und die Deutsche Christliche Studentinnen-Bewegung (DCSB) verboten. Bereits 1936 wurde ein Studentenheim der Bekennenden Kirche eingerichtet, in dem jedoch höchstens 10 Studierende wohnten. Mit Kriegsbeginn stellte es seine Arbeit ein.
Insgesamt konnten die Greifswalder Kameradschaften die ihr zugedachte Funktion in der „Führerauslese“ nicht erfüllen. 1938 bestanden noch lediglich vier Kameradschaften in Greifswald. Diese entfalteten aber in den Kriegsjahren ein erstaunlich lebendiges gesellschaftliches Leben und hielten die Beziehungen zu den Alten Herren aufrecht. Die Deutsche Studentenschaft war in Fachschaften gegliedert, die 1935 den neu gebildeten regionalen Ämtern für Wissenschaft unterstellt wurden. In ihrer Tätigkeit erlangten die „Reichsleistungskämpfe“ größere Bedeutung. Die Teilnehmer widmeten sich politischen Themen, untersuchten aber auch naturwissenschaftliche Fragestellungen, die zur Stärkung der Autarkie des Deutschen Reiches beitragen sollten. Es entstanden auch mehrere Arbeiten zur Vor- und Frühgeschichte, etwa zur Besiedlung Pommerns durch Slawen und Germanen, die als Stellungnahme im Volkstumskampf betrachtet wurden. In diesem Sinne wirkte auch die „Grenz- und Ostlandarbeit“, von der man sich eine Profilschärfung der Universität versprach. Sie sah einen praktischen Grenzlanddienst vor, an dem 1935 immerhin 172 Studenten (15 Prozent der Immatrikulierten) teilnahmen und sollte zur wissenschaftlichen Bearbeitung von Grenzlandproblemen anregen. Im Rahmen dieser Tätigkeit erstellten die Studenten auch „Volkstumskarten“ von Dörfern in Hinterpommern, in denen die Abstammung der „kaschubischen Mischlinge“ verzeichnet war. Nach der endgültigen Ablehnung des Reichsministeriums für Wissenschaft und Erziehung, Greifswald zu einer „Ost- und Grenzlanduniversität“ zu erklären, verloren diese Bemühungen 1937 ihren wesentlichen Antrieb. In der Lehre blieben solche Themen jedoch präsent, etwa in der „Bevölkerungsökonomie“ des Volkswirts Theodor Oberländer oder in den Vorlesungen des Prähistorikers Wilhelm Petzsch.