Berufungspolitik

Die Einschränkung des Mitspracherechtes der Fakultäten war eine notwendige Voraussetzung für den gesteuerten Elitenwechsel, den der NS-Staat auch in den Hochschulen anstrebte. Bereits am 28. Juni 1933 legte der preußische Kultusminister fest, dass künftige Berufungen ohne die übliche Dreier-Vorschlagsliste erfolgen sollten. Allerdings wurde auch die Kompetenz des Preußischen Ministeriums angegriffen, da der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, Mitspracherechte einforderte. Ab 1935 übernahm der NSD-Dozentenbund die Rolle als Vertreter der Partei in Berufungsverfahren. Der so geschürte Kompetenzstreit zwischen Reichsministerium und Parteidienststellen setzte sich bis zum Kriegsende fort. Berufungen konnten nur noch im Konsens erfolgen, was eine oft zeitaufwändige Abstimmung zwischen allen Stellen notwendig machte. Zusätzlich schaltete sich ab 1938 das Amt Rosenberg mit Gutachten in Berufungsfragen ein und auch die Gauleitung beanspruchte ein Mitspracherecht.

Für die Universität Greifswald ist eine systematische Berufungspolitik nicht nachweisbar. Schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts galt die Universität als eine Hochschule für Einsteiger in das Lehramt. Nicht wenige Professoren erhielten hier ihre erste ordentliche Professur. Das Angebot an vielversprechenden Privatdozenten dünnte sich nach 1933 durch die politischen Kriterien in mehreren Disziplinen zunehmend aus. Das Ministerium vermittelte jedoch gezielt Dozenten nach Greifswald, denen es eine aussichtsreiche Karriere zutraute. Es ist dabei nicht erwiesen, dass die wissenschaftliche Eignung der Kandidaten zunehmend in den Hintergrund trat. Fanatische Nationalsozialisten mussten nicht zwangsläufig minderqualifiziert sein. So waren die Oberärzte der Berliner Charité Wilhelm Richter und Günter K. F. Schultze nicht nur politisch sondern auch wissenschaftlich ausgewiesen, als sie Mitte der 1930er Jahre nach Greifswald berufen wurden. In den anderen Fakultäten verhielt es sich ähnlich. Als Indiz für die fast ausnahmslos qualifizierten Bewerber mag gelten, dass die überwiegende Zahl der nach 1933 berufenen Professoren auch nach 1945 wieder an verschiedenen Universitäten oder auf Chefarztstellen beschäftigt wurde. Die Universität selbst nominierte überwiegend Dozenten anderer Universitäten und nur in Ausnahmefällen ordentliche Professoren. Aus Sicht des Dekans der Philosophischen Fakultät Erich Leick sollten die berufenen Dozenten jung, frisch und aufgeschlossen für das Neue sein. Er hintertrieb so die Berufung eines 45jährigen Kandidaten im Fach Alte Geschichte, den er als „überaltert“ und „ausgesprochen langweilig“ darstellte. Die Bewerber hatten sämtlich die Dozentenlager der NSDAP durchlaufen und gehörten fast alle der Partei an. In der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät war die Zahl der Kandidaten begrenzt, weil das Lehramt finanziell weniger attraktiv als entsprechende Stellen in der Judikative war. Die Fakultät hielt daher gezielt Ausschau nach talentierten Nachwuchswissenschaftlern. Der Berufung des gerade habilitierten Hans Jürgen Bruns stimmten alle ordentlichen Professoren zu. Seine Reformvorschläge für ein nationalsozialistisches Strafrecht schienen ihnen gut begründet. Auch der Volkswirt Peter-Heinz Seraphim kam auf Wunsch der Fakultät nach Greifswald, wenn sie ihn auch nicht an erster Stelle auf der Berufungsliste nannte. In der Theologischen Fakultät gelang eine einzige reguläre Berufung – die des Alttestamentlers Leonhard Rost. In den Kirchenkämpfen nach 1933 hatte er sich im Sinne der Bekennenden Kirche positioniert. Er wurde daraufhin von Breslau nach Berlin versetzt. Hier war er bei den Studierenden beliebt und galt als überzeugter Nationalsozialist, was er nicht war. Die übrigen vakanten Professuren in der Theologischen Fakultät wurden durch das Ministerium mit Professoren besetzt, die der Entwicklung im nationalsozialistischen Sinne anderswo im Weg standen.